Drei Dinge, die eine Selbstverteidigungstrainerin nie tun würde

Die Sozialwissenschafterin Irene Zavarsky fand durch Zufall ihren Weg zum Kampfsport. Wovon sie abraten würde und welche Mythen sie nicht mehr hören kann

Anika Dang

8. Oktober 2023

Selbstverteidigungstrainerin Irene Zavarsky zeigt Übungen an einem Dummy 

Mehrmals pro Woche unterrichtet die Sozialwissenschafterin Irene Zavarsky Kampfsport. Das Geschlechterverhältnis in ihrem Studio sei ausgeglichen. Foto: Christian Fischer

Vor sieben Jahren eröffnete Irene Zavarsky eine Selbstverteidigungsschule am Wiener Handelskai. Zum Kampfsport hat die promovierte Politikwissenschafterin über Umwege gefunden. “Wirklich sportlich war ich eigentlich nie”, sagt sie lachend. Auf der Suche nach einem Ausgleich zum Arbeitsalltag besucht sie vor 15 Jahren einen Krav-Maga-Kurs. “Es hat mir von Anfang an viel Spaß gemacht, und ich bin voll reingekippt”, erinnert sich die 44-Jährige zurück. So sehr, dass sie bald den Schulungsraum gegen die Trainingsmatte eintauscht.

Als Kommunikations- und Konflikttrainerin in der Erwachsenenbildung konnte Zavarsky nach eigener Aussage viel in den neuen Job mitnehmen. Das Kursangebot im Kai Gym reicht von Kickboxen bis Cross Fit. Die Selbstverteidigungskurse werden großteils von Frauen besucht. Insgesamt sei das Publikum in ihrem Fitnessstudio aber durchmischt – sowohl in Hinblick auf die Geschlechter als auch beim Alter und der sozialen Herkunft. Was Irene Zavarsky im Training, aber auch bei realen Konfrontationen nicht machen würde, erzählt sie im Gespräch:

1. Mich kleiner machen

“Ein erster Reflex von vielen ist, einer brenzligen Situation den Rücken zuzukehren. Wenn es sie selbst betrifft, aber auch wenn sie eine unangenehme Situation in der Öffentlichkeit beobachten. Viele versuchen, sich vom Geschehen abzuwenden, bloß keinen Blickkontakt herzustellen und sich möglichst unauffällig in einer Ecke klein zu machen. Genau das sollte man aber nicht tun. Das gilt vor allem, wenn wir in einer Situation feststecken, aus der es so schnell keinen Ausweg gibt. Man begibt sich dadurch nämlich in eine schlechtere Ausgangsposition und macht sich handlungsunfähiger. Weil man dann nicht weiß, wie sich die Situation entwickelt oder wann es eskaliert. Zudem sind unsere Verteidigungsgegenstände immer vorne – also unser Mund zum Schreien oder unsere Arme und Beine zur Verteidigung. Sich aus der Position wieder herauszuarbeiten, kann Zeit und Kraft kosten.”

2. Zu viel Kraft aufwenden

“Mein nächster Tipp wird wohl einige verwundern, aber ich würde nie mehr machen als notwendig. Was meine ich damit? Im Gegensatz zu anderen Kampfsportarten geht es bei Selbstverteidigung nicht um eine faire oder vereinbarte Auseinandersetzung mit festgelegten Regeln und Runden. Stattdessen geht es darum, effizient zu agieren, um möglichst schnell und unbeschadet aus einer Situation zu kommen. Im Training steht deshalb die Technik im Vordergrund, nicht die Kraft. Denn ohne eine gute Technik kommt man nicht weit. Dadurch können Personen mit jeder körperlichen Konstitution ins Training einsteigen. Wenn ich selbst Konfliktsituationen beobachte, schreite ich zudem viel überlegter ein als zuvor. Der erste Schritt sollte immer die Deeskalation sein. Außerdem versuche ich, dem Opfer zu helfen, statt mich mit dem Täter auseinanderzusetzen. In solchen Momenten geht es nie ums Gewinnen oder darum, jemanden zu belehren.”

Selbstverteidigungstrainerin Irene Zavarsky zeigt eine Übung auf der Sportmatte

Im Training steht bei Irene Zavarsky die Technik im Vordergrund, nicht die Kraft. Foto: Christian Fischer

3. Auf Angst als Motivator setzen

“Manche Mitglieder erzählen von schlechten Erfahrungen in anderen Kursen oder Workshops, die sie gemacht haben. Da wird zum Teil mit Angst gearbeitet, Horrorgeschichten erzählt und Frauen – zumindest indirekt – vermittelt, was sie nicht tun sollten oder wo sie sich nicht aufhalten sollten, um gefährliche Situationen zu vermeiden. Mein Ansatz ist ein anderer: Ich will die Teilnehmenden in unseren Trainings bestärken und ihnen Spaß an der Bewegung vermitteln. Betroffene sind nie schuld an dem, was ihnen passiert. Natürlich können und sollten Maßnahmen gesetzt werden, dass Frauen – und auch Männer – sich sicherer fühlen können. Das ist aber keine Ebene der Selbstverteidigung, sondern eine politische Forderung.” (Anika Dang, 8.10.2023)

Irene Zavarsky (44) eröffnete vor sieben Jahren die Selbstverteidigungsschule “Kaigym” am Wiener Handelskai. Die promovierte Sozialwissenschafterin ist zudem selbstständig als Kommunikations- und Konflikttrainerin in der Erwachsenenbildung tätig.

Aritikel im Standard vom 9. Oktober 2023